Ihr Lieben
Kennst du das Gefühl, wenn dir kalte Ablehnung entgegenschlägt? Bis gestern dachte ich, dass mir dies nichts mehr anhaben kann. Jedoch manchmal sind es überraschende Kleinigkeiten, die uns doch mehr unter die Haut gehen, als wir erwarten.
... das Staunen ist der Anfang der Erkenntnis ...
Ich wurde eingeladen in einem Migros-Fitnesszentrum für die Yogalehrer eine Weiterbildung in Restorativem Yoga zu geben. Bereits bei meiner Ankunft empfing mich die Organisatorin sehr distanziert und kühl. Leicht irritiert atmete ich tief durch und wappnete mich innerlich auf eine mir ungewohnte Umgebung. Die leichte Verunsicherung verflüchtigte sich allerdings, als mich die Teilnehmer herzlich begrüssten. Ich spürte, dass sie voller Vorfreude waren - ausser einer Frau, die mich keines Blickes würdigte. Sie steuerte auf einen freien Platz zu und mied den Blickkontakt mit einer Vehemenz, die mich ahnen liess, dass sie viele Widerstände mitbrachte.
... Lerne ruhig zu bleiben, nicht alles verdient eine Reaktion ...
Als diese Frau während der Vorstellungsrunde an der Reihe war, fixierte sie mich mit einem kalten abschätzigen Blick voller Verachtung, der mich für einen Moment zutiefst verunsicherte. Instinktiv ergriff mich ein Fluchtreflex, der mich weit weg wünschte - wie ein von Ablehnung bestraftes Kind, das nicht dazugehört und nicht mitspielen darf. Erstaunt beobachtete ich mich selbst dabei und im selben Augenblick wurde ich gewahr, dass diese Frau eine Chance war, mich selbst zu reflektieren.
Wann, wenn nicht jetzt?
Wo, wenn nicht hier?
Wer, wenn nicht wir?
Wie würdest du in solch einer Situation reagieren? Sollte ich sie direkt ansprechen und fragen, was los sei und weshalb sie diese Weiterbildung besuche? Ich entschied mich dafür, erst einmal nur zuzuhören und ihr zu signalisieren, dass sie ein freier Mensch ist und jederzeit gehen kann. Im Anschluss liess ich sie in Ruhe und konzentrierte mich voll und ganz auf die anderen Teilnehmer, die wissensdurstig und dankbar in die Übungen eintauchten - trotz lauten Bässen vom Nachbarraum und aufschreckenden Poltergeräuschen von herunterfallenden Hanteln über uns.
An der ablehnenden Haltung dieser Frau veränderte sich nichts. Sie schien ihr Urteil über mich gefällt zu haben. Trotzdem blieb sie und ich war sehr erstaunt, als sie auch nach der Mittagspause wieder auf ihrem Platz sass. Eine angeregte Diskussion übers 'Lehrersein' verband die Gruppe und auch diese Frau öffnete sich immer mehr. Ich erfuhr, dass sie seit 20 Jahren als Yogalehrerin unterrichte sowie als Neuropsychologin arbeite und wissenschaftliche Test durchführe. Als sie sagte, für sie seien so 'Gschpürschmi' Kurse (wie sie es ausdrückte) ein Gräuel, dämmerte mir, was ihre Ablehnung ausgelöst haben könnte. Es kam mir vor, wie wenn sie sich von mir (nicht als Samira, sondern als die Restorative Yogalehrerin) bedroht fühlte, weil die Übungen einen Kontrollverlust auslösen können, was in ihr eine tiefe Angst hervorrief.
Bevor du über einen Menschen urteilst:
Stehe, wo er steht.
Fühle, was er fühlt.
Erspüre sein Herz.
Erleide seinen Schmerz.
Blicke durch seine Augen.
Erkenne seine Welt.
Und dann - vielleicht -
wirst du verstehen,
warum er so ist,
wie er ist,
und dass es dir nicht zusteht,
über das Leben eines anderen
ein Urteil zu fällen!
Verfasser unbekannt
Dennoch blieb diese Frau bis zum Kursende und ich verneigte mich dankbar vor ihr, dass ich durch meine Gefühle, die sich durch ihr Verhalten zeigten, mir wieder etwas näher kommen durfte - ein wunderbares 'Gschpürschmi'-Erlebnis.
Namasté
Samira