Samira – Biographische Anekdote – Erwachen

Erwachen

Ein ohrenbetäubender Knall hinterliess einen staunenden Ausdruck auf meinem Gesicht. Als mich gleichzeitig eine unsichtbare Kraft aus dem Velosattel hob, realisierte ich, dass dieser Knall etwas mit mir zu tun haben musste. Ich flog sechs Meter rückwärts über das Auto hinweg, welches mich soeben angefahren hatte.
Eigentlich hatte dieser Tag so gut angefangen: Ich freute mich, wie ein kleines Kind, das an Weihnachten Geschenke auspacken darf, an der Errungenschaft neuer, sonnengelber Bettwäsche, die ich an meinem wohlverdienten Feierabend in einem Geschäft entdeckt hatte. Da mein Velogepäckträger bereits bis obenhin mit einer grossen Trainingstasche besetzt war, hatte ich die Bettwäsche in meinen kleinen Rucksack gequetscht. Zudem war ich an jenem zukunftsverändernden Tag an der Tanzschule vorbei gefahren, wo ich in zwei Wochen die Ausbildung zur professionellen Tänzerin beginnen wollte, was ein aufregendes Kribbeln in mir ausgelöst hatte.
Der pralle Rucksack mit der neuen Bettwäsche verblieb während des ganzen Fluges wie angeklebt an meinem Rücken. Im Nachhinein kam es mir vor, als hätten meine Schutzengel mich davor bewahren wollen, dass meine Wirbelsäule in all ihre Einzelzeile zertrümmert werden sollte. Nach einem dumpfen Aufprall lag ich bewegungslos auf der asphaltierten Strasse. Ein Gefühl von Wärme hüllte mich wie ein Schutzmantel ein. Leicht wie eine Feder schwebte ich über der Unfallstelle und beobachtete erstaunt, wie quietschende Autos hinter meinem reglosen Körper abrupt abbremsten, Menschen hilflos hin und her eilten.
Plötzlich zog mich eine unsichtbare Kraft von diesem Ort weg und ich schwebte auf ein unfassbar schönes, helles Licht zu, welches mich magisch anzog. Mich erfüllte ein Gefühl von einem tiefen inneren Frieden, je näher ich diesem Licht kam. Alles schien sich aufzulösen. Gleichzeitig fühlte ich mich von einer liebenden Kraft gehalten und wusste instinktiv, dass alles in Ordnung war. Es gab keine Fragen mehr, die nach Antworten verlangten. Eine unbeschreibliche Harmonie durchflutete mein Innerstes. Hätte ich in diesem Zustand weinen können, wären aus lauter Dankbarkeit für dieses Gefühl des Nachhausekommens warme, befreiende Tränen meine Wangen heruntergekullert.
Eine Lichtgestalt tauchte neben mir auf und ich erkannte in ihr freudig meinen geistigen Führer Nathanael. Er forderte mich auf, ihn anzusehen und sagte: „Es ist noch nicht an der Zeit zu gehen, du hast noch einiges zu tun auf der Erde.“
Nathanael ist mein Führer, der mich schon sehr lange begleitet. Eigentlich hat er gar keinen Namen. Er zeigt sich mir durch ein besonderes Gefühl, das er in mir auslöst. Hier auf der Erde ist es jedoch einfacher, wenn ich ihn mit einem Namen anrufe. Er trägt eine grosse Weisheit in sich, die mich immer wieder tief berührt. Mein Vertrauen zu ihm ist grenzenlos. Nathanael ist immer in meiner Nähe. Er ist mein bester Freund und ich kann mich bedingungslos auf ihn verlassen. Bei jeder Gelegenheit spreche ich zu ihm, bedanke mich für sein Dasein, seine Unterstützung. Wenn ich verzweifelt bin, tröstet er mich mit aufmunternden Worten, die er in meine Gedanken legt. Auch hat er einen goldenen Humor. In angespannten, schwierigen Situationen spielt er oft den Clown, um mich aufzuheitern, dies so lange bis ich beginne, haltlos zu lachen. Wenn dies geschieht und ich unter Menschen bin, kommt es schon mal vor, dass diese mich verständnislos anstarren, so, als wäre ich nicht ganz dicht. In besonders herausfordernden Situationen tauchen auch andere geistige Begleiter auf. Nathanael jedoch ist immer an meiner Seite und unterstützt mich mit einer Hingabe, die von bedingungsloser Liebe zeugt.
Er spürte augenblicklich, dass er mich mit seiner Aussage zutiefst verunsichert hatte. Meine Sehnsucht nach dem soeben erfahrenen Licht war nämlich überirdisch mächtig. Ich überlegte angestrengt, wie ich ihm verständlich machen könnte, dass ich von dem tiefen Wunsch beseelt war, in dieses Licht einzutauchen. Er jedoch vermittelte mir durch seine bestimmte Haltung mit eindrücklicher Klarheit, wie ernst ihm seine Worten waren.
Nathanael nahm mich bei der Hand und flog mit mir über die Erde hinweg. Als wir über eine grosse Stadt mit unendlich vielen Wolkenkratzern hinwegschwebten, streifte mein Blick über Menschen, die wie Ameisen durch die Strassen strömten. Nathanael bedeutete mir etwas näher hin zu gehen und genauer zu schauen. Ich entdeckte zwischen den Massen vereinzelte strahlende Lichter, die wie der Strahl einer Taschenlampe nach oben leuchteten und miteinander verbunden waren. Diese Lichtstrahlen bildeten ein perfektes Netz, welches die ganze Erde umhüllte. Auch uns berührten diese Lichtstrahlen und es wurde mir auf beruhigende Art und Weise klar, dass es noch viele andere wunderbar strahlende Menschen auf der Erde gab, die die schöne Aufgabe hatten, die noch schlafenden Seelen auf ihrem Weg zur Bewusstheit zu unterstützen.
Ich fühlte, wie ich in meinen leblosen Körper zurückgezogen wurde, den ich plötzlich wieder unter mir spürte. Durch einen Schleier konnte ich wahrnehmen, wie mich eine rauchige Frauenstimme nach der Telefonnummer eines Angehörigen fragte. Ich hörte Menschen, die aufgeregt miteinander diskutierten, ob sie mich seitlich lagern sollten, damit ich nicht an meinem Erbrochenen erstickte. Jetzt erst spürte ich den metallenen Geschmack von Blut in meinem Mund und wie diese klebrige, warme Flüssigkeit meinen Hals hinunter rann. Aber den Geschmack nach Erbrochenem konnte ich beim besten Willen nicht wahrnehmen. Schlagartig war mein inneres Sensorium aktiviert und sämtliche Alarmsignale leuchteten auf, denn ein brennender Schmerz im Rücken liess mich das Schlimmste vermuten.
Erstaunlich klar gab ich die Anweisung, dass mich niemand anfassen dürfe. Ich war nun bei vollem Bewusstsein und dies war – wie sich im Nachhinein herausstellte – mein grosses Glück. Denn ich kann bis heute nicht abschätzen, was mit meiner Wirbelsäule geschehen wäre, wenn sie mich auf die Seite gedreht hätten.
Ein Krankenwagen mit Blaulicht hielt neben mir und zwei Sanitäter eilten mit hastigen Schritten herbei. Ein junger Arzt suchte die Quelle meines Blutflusses. Ich hatte bei der Heftigkeit des Aufpralls meine Zunge fast abgebissen. Gottseidank konnte er vorerst eine innere Verletzung ausschliessen. Er musterte mich mit wachen Augen und fragte: „Haben Sie Schmerzen?“
„Ja, ich habe das Gefühl, mein grosser linker Zeh wurde abgerissen, die Schmerzen an dieser Stelle sind unerträglich.“
Mit ernstem Gesichtsausdruck schaute er mich an und sagte trocken: “Seien Sie froh, dass Sie ihren Zeh noch spüren!“
In diesem Augenblick wurde mir schlagartig bewusst, dass dieser Unfall meine ganze Zukunft verändern würde. Keine Tanzausbildung, kein Velofahren mehr und im schlimmsten Fall würde ein Rollstuhl auf mich warten.
Äusserst vorsichtig schoben die Sanitäter ein luftleeres Kissen unter meinen Körper. Luft strömte durch eine Öse ein. Sie betteten mich sanft auf das Luftkissen ohne die geringste Verschiebung der Wirbelsäule. Mit Blaulicht rasten wir durch die Stadt Zürich ins Universitätsspital. Auf der Notfallstation scharten sich eine Handvoll Ärzte um meine Tragbahre. Sie untersuchten mich nach inneren Verletzungen und beschlossen sämtliche Knochen in meinem Körper zu röntgen.
Diese Prozedur habe ich in meiner Erinnerung ausgeblendet, da sie unglaublich schmerzhaft war, und ich zu sehr damit beschäftigt war zu beten, dass meine Knochen unversehrt sein mögen.
Meine Schutzengel hatten ganze Arbeit geleistet. Dank dem gepolsterten Rucksack auf meinem Rücken war lediglich ein Wirbelkörper auf Brusthöhe gebrochen und zwei weitere gestaucht. Ich kam mit einer Gehirnerschütterung und einem ausgerenkten grossen Zehen davon. Mein Brustkorb fühlte sich einseitig an, da sich die Rippenbogen durch den Aufprall verschoben hatten. In meinem linken oberen Rückenbereich hatte ich kein Gefühl mehr. Es fühlte sich an, als wären die Nerven durch die gebrochenen Wirbelkörper abgetrennt worden. Blutergüsse verteilten sich, wie kunstvoll geformte Inseln, auf meinem geschundenen Körper.
Der Arzt blickte über den Rand seiner Lesebrille und sagte: „Sie hatten grosses Glück, dass nichts Schlimmeres passiert ist. Der gepolsterte Rucksack auf ihrem Rücken konnte den Aufprall mildern. Trotzdem werden Sie lernen müssen, mit Schmerzen zu leben.“
Mein Kampfgeist war mit einem Schlag geweckt. „Nicht mit mir“, dachte ich. „Ich bin mit meinen 25 Jahren noch viel zu jung, um meine Träume aufzugeben.“ Obwohl die Tanzausbildung bereits in zwei Wochen beginnen würde, setzte ich mir in den Kopf, dass ich einfach etwas später einsteigen würde.
Mein damaliger Freund pflegte mich fürsorglich Tag und Nacht. Er half mir, wenn ich auf die Toilette musste, brachte mir meine Lieblingsspeisen und verbrachte die meiste Zeit an meinem Bett, welches ich über längere Zeit hüten musste. Ich hatte viel Zeit um Nachzudenken: Wie würde meine Zukunft aussehen? Würde ich mich jemals wieder schmerzfrei bewegen können? Was sollte ich nur tun? Ich war oft der Verzweiflung nahe und in diesen Augenblicken beruhigte er mich liebevoll mit den Worten, dass alles wieder gut werden würde.
Eines Tages klingelte es an der Tür und ein Polizist besuchte uns. Er fragte mich, ob ich gegen den Taxifahrer, der mich angefahren hatte, Anzeige erstatten wolle?
„Sicher nicht!“ antwortete ich, „er hat mich ja nicht absichtlich angefahren.“
Der Polizist, der noch sehr jung war, legte seine glatte Stirn in Falten und meinte: „Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass, wenn Sie keine Anzeige erstatten, die Versicherung den Schaden nicht übernehmen wird.“
„Das verstehe ich nicht“, sagte ich, da ich der Überzeugung war, dass die Versicherung des Taxifahrers den Schaden auf jeden Fall übernehmen müsse, weil jener mich ja angefahren hatte.
„Wenn der Taxifahrer bestreitet, und das tut er“, meinte der Polizist, „dass er die alleinige Schuld am Unfall hat, muss seine Versicherung nichts bezahlen.“
Dies machte mir nun doch ein wenig Angst. Der sympathische Polizist ermahnte mich zu meiner Sicherheit, eine Anzeige aufzugeben und ich vertraute ihm. Vom Taxifahrer selbst hatte ich seit dem Unfall nichts mehr gehört: Er hatte sich weder nach meinem Befinden erkundigt, noch hatte er mir einen Besuch abgestattet.
Einen Tag später klingelte es wieder an der Tür, dieses Mal jedoch morgens um sechs Uhr. Schlaftrunken schaute mein Freund durchs Guckloch. Ein kleiner untersetzter Mann stand mit hochrotem Gesicht vor der Tür. Sein fast kahler Schädel glänzte im künstlichen Treppenhauslicht. Es war der Taxifahrer, der mir lauthals durch die halboffene Wohnungstür verkündete, dass Jesus ihm gesagt hätte, dass mir nichts geschehen sei beim Unfall. Jesus? Mir nichts geschehen war? Das war ja interessant! Ich erklärte ihm, dass sich Jesus wohl geirrt haben musste, denn es sei sehr wohl etwas mit mir passiert. Der Taxifahrer wollte es gar nicht hören und stapfte wütend davon.
Kurz darauf rief mich eine fremde Frau an und erkundigte sich, wie es mir ginge. Sie teilte mir mit, dass sie beim Unfall alles gesehen hätte und dass ich, falls ich eine Zeugin bräuchte, sie kontaktieren könne. Sie ärgerte sich furchtbar über den Taxifahrer. „Dieser Idiot hätte ja nicht mal einen Elefanten auf der Strasse gesehen!“ wetterte sie. Ihre Emotionen rührten auch daher, dass sie selbst eine Tochter mit blonden Haaren in meinem Alter hatte und sich vorstellte, dass es auch ihre Tochter hätte treffen können.
Tatsächlich erhielt ich ein paar Monate später eine Vorladung vom Gericht. Offenbar hatte der Polizist recht gehabt. Ich rief die Zeugin an und bat sie, mich zu diesem Termin zu begleiten. Als wir vor dem Gerichtssaal warteten, begegnete mir der Taxifahrer. Unruhig wie ein gefangenes Raubtier ging er hin und her.
Als er mich sah, fauchte er mich wütend an: „Sie sind schuld, dass ich jetzt hier sein muss!“ Ich erkannte, dass er grosse Angst hatte, denn er war schon etwas älter und stand vermutlich kurz vor der Pensionierung.
Insgesamt mussten wir drei Mal vor Gericht erscheinen, da er jedes Mal Einspruch gegen das Urteil erhob. Sein Anwalt verteidigte ihn ein wenig hilflos mit fadenscheinigen Argumenten. Der Taxifahrer behauptete immer wieder, dass ich unter Drogen gestanden sei, als ich mit dem Velo unterwegs gewesen war und dass Jesus ihm versichert hätte, dass mir nichts geschehen und ich eine verdammte Lügnerin sei.
Bei unserem letzten Termin polterte er lauthals mit Anschuldigungen gegen mich los. Dabei gestikulierte er aufgeregt mit Händen und Füssen. Er holte eine Strassenkarte hervor, auf der er mit einem dicken, roten Strich die Unfallstelle eingezeichnet hatte. Damit wollte er beweisen, dass ich mitten auf der Strasse einen drei Meter grossen Schwenk gemacht hätte. „Sie hat ein massives Drogenproblem, das habe ich gleich erkannt! Wie eine Betrunkene ist sie gefahren!“ wetterte er gehässig.
Es sei nicht seine Schuld, dass er nicht mehr abbremsen konnte. Er fluchte und schrie im Gerichtssaal, bis ihm die Richterin streng Einhalt gebot. Daraufhin beschimpfte er die Richterin, dass sie keine Ahnung von ihrem Beruf hätte. In diesem Moment wusste ich, dass er zu weit gegangen war, denn der Geduldsfaden der Richterin riss nun endgültig.
Ich war ohne Anwalt gekommen. Die Richterin hörte mich aufmerksam an und wollte dann nochmals von der Zeugin wissen, wie sie den Unfall beobachtet hätte. Auch die Zeugin war auf Hochtouren. Ich spürte, wie sie vor Wut zitterte. Sie schildete den Hergang des Unfalls aus ihrer Sicht.
„Der hätte ja nicht mal einen Elefanten auf der Strasse gesehen!“ schloss sie ihre Ausführungen mit ihrem Lieblingssatz.
Die Richterin gab dem Taxifahrer die Höchststrafe. Er musste seinen Fahrausweis für ein Jahr abgeben, sämtliche Kosten übernehmen und für zwei Wochen bedingt in eine Strafanstalt. Als ich seine zusammengeknickte Gestalt betrachtete, tat er mir richtig leid, denn nach wie vor, war ich davon überzeugt, dass niemand absichtlich eine Velofahrerin umfährt. Doch sein Verhalten vor Gericht hatte ihm massiv geschadet. Ich denke, wäre er einsichtig gewesen, hätte er wohl keine Strafe gekriegt. Eigentlich war es ja vor allem darum gegangen, zu entscheiden, welche Versicherung für die Kosten aufkommen musste. Obwohl ich zu jener Zeit noch kein Yoga praktizierte, wurde mir durch dieses Erlebnis bewusst, wie wichtig es ist, die innere Mitte zu bewahren und dass wir mit starken negativen Emotionen viel zerstören können.
Gut ein Jahr später fuhr ich mit meinem neuen Fahrrad die Limmat entlang. Ich spürte, wie sich von hinten ein Auto näherte und gefährlich nah aufschloss. Ich drehte mich um und erkannte den Taxifahrer. Auch er hatte mich erkannt und begann mich wütend von der Strasse abzudrängen. Ich bekam es mit der Angst zu tun. Mit einem gekonnten Sprung hechtete ich samt meinem Fahrrad auf den Gehsteig und raste wie eine Verrückte davon. Wie im Krimi verfolgte mich der Taxifahrer und schaute böse aus dem Fenster. Glücklicherweise befand sich ein kleines Stück weiter vorne eine Fussgängerbrücke über die Limmat. In letzter Sekunde bog ich blitzschnell ab und flitzte in einem Höllentempo über die Brücke davon. Ich glaube, so schnell bin ich in meinem ganzen Leben noch nie Fahrrad gefahren. Der wollte mich doch tatsächlich nochmals umfahren, schoss es mir durch den Kopf. Oder wollte er mich einfach noch einmal unmissverständlich daran erinnern, in meinem Leben nicht mehr einzuschlafen? Bewusst meinen Erkenntnissen treu zu bleiben? Dieser verrückte Taxifahrer war einer meiner grössten Lehrmeister. Er hatte mich in vielerlei Hinsicht wachgerüttelt. Und dafür werde ich ihm ewig dankbar sein.
Der Unfall hatte mein ganzes Leben durcheinander gebracht. Der Boden unter den Füssen war mir schonungslos entzogen worden und ich wurde auf unangenehme Art und Weise gezwungen, mein Leben zu überdenken. Mein Rückgrat war auf Herzhöhe gebrochen worden. Täglich wurde ich mit der Aufforderung konfrontiert, mein Leben von nun an aufrichtig zu betrachten. Lebte ich mit einer Lebenslüge, welche mich nötigte, in gekrümmter Haltung zu gehen? Hatte ich den Mut, mein Herz für die Schönheiten des Lebens zu öffnen? Würde ich es schaffen, diese Erfahrung als Chance für eine Veränderung anzunehmen?
Der andere Weg, mich selbst zu bemitleiden, kam mir zu anstrengend vor. Auch wenn es ein schönes Gefühl war, im Mittelpunkt zu sein und sich umsorgt zu wissen, konnte es nicht mein Lebensinhalt sein, mich von der Fürsorge anderer abhängig zu machen. Ich wollte selbstverantwortlich  mit starkem Rückgrat, aufrichtig durchs Leben gehen und künftig aus der Weisheit meines Herzens handeln.
Die Folgen des Unfalls hatten mir mit aller Deutlichkeit bewusst gemacht, dass ich für eine Heilung auf allen Ebenen selbst verantwortlich bin. Und diese Erkenntnis führte mich auf wundersamen Wegen auf den Yogapfad. Ich musste mir eingestehen, dass der Arzt Recht behalten sollte mit seiner Aussage, dass mein Leben fortan von Rückenschmerzen bestimmt sein würde. Aber ich fand schnell heraus, dass dieser Arzt vermutlich noch nie etwas von Yoga gehört hatte, denn wenn ich Yoga praktizierte, war ich schmerzfrei. So wurden meine Rückenschmerzen auf Herzhöhe zu meinem grössten Lehrer im Fach Disziplin. Ich kann mir bis heute nicht erlauben, auf meine tägliche Yogapraxis zu verzichten, ausser ich würde mich für ein Leben mit konstanten Schmerzen entscheiden. Yoga ist ausserdem das Medium, mich zu verwurzeln und die Dankbarkeit in mir zu spüren, am Leben zu sein. Durch Yoga lernte ich das Leben auf der Erde zu lieben.

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