Loslassen – Dehnungen

Kennst du das? Du hast dir fest vorgenommen, etwas in deinem Leben zu verändern. Nicht eine Kleinigkeit, nein alles soll anders werden und das am besten sofort! Du sagst dir: „Ab morgen werde ich alles anders machen!“

Deinem Yogabesuch steht nichts mehr im Weg. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt dafür gekommen! Aber zuerst soll ein gesundes Abendessen her. Nie mehr im Leben Junk‐Food. Doch innert Sekunden ändert sich alles, wenn das Ziel Kühlschrank durch ein unvorhergesehenes Übel komplett ausgebremst wird. Ein kurzer Blick zur Seite und die leckeren Chips im offenen Vorratsschrank ziehen dich in ihren Bann. Schon ist es geschehen. Eigentlich, ja eigentlich wollte ich mir ja heute einen gesunden Gemüseeintopf kochen. Eigentlich wollte ich mich verändern und mich gesünder ernähren und kein Junk‐Food mehr essen. Eigentlich … Ach, was soll’s. Die Chips müssen weg und zwar jetzt sofort! Etwas später fühlt sich dein Bauch dermaßen aufgebläht an, dass der Gedanke an Yoga in weite Ferne gerückt ist. So sind nicht nur die guten Vorsätze des Tages weg, sondern auch die Packung Chips.

Deine Gewohnheit, immer alles auf einmal zu wollen, versperrt dir den Weg. Du drehst dich im Kreis, zweifelst an dir und merkst nicht, dass du dir selber im Weg stehst. Die meisten Dinge, die du auf mor‐gen verschiebst, wirst du nie anpacken. Warum nicht jetzt damit beginnen, deine Pläne umzusetzen? Wenn dir etwas wirklich wichtig ist, dann solltest du es nicht mehr aufschieben.

Vor einem Entwicklungssprung und Neubeginn gehst du oft durch eine Zeit des Chaos, weil das Neue erst in dein Leben treten kann, wenn das Alte von dir abgefallen ist, wenn du die Anhaftung daran aufgegeben hast. Manchmal können schwierige Lebenssituationen wie ein Schicksalsschlag, ein Unfall oder ein Todesfall Mut geben, aufrichtig nach dem Sinn des Lebens zu suchen. Frage dich einmal ganz ehrlich: Hast du aus deinen Schwierigkeiten oder aus deinen Annehmlichkeiten mehr gelernt? Oft sind es die schwierigen Zeiten, die das Tor zur Erkenntnis öffnen. Wenn eine Welt über dir zusammenbricht, kann das eine wunderbare Gelegenheit sein, anzufangen dich selbst in Liebe und Wahrhaftigkeit zu reflektieren.

Die Erkenntnis, dass schwierige Situationen zum Leben dazu gehören, befreit das Herz in heilsamer Art und Weise. Jeder erlebt Gefühlsschwankungen, Unruhe und Leid. Die Sehnsucht nach Einfach‐im‐Frieden‐Sein ist verständlich. Aber weshalb bist du hier auf dieser Erde? Kennst du jemand, der immer zufrieden ist? Du brauchst nicht zufrieden zu sein, du darfst Zweifel haben und Fehler machen. Aber höre nie auf, dich zu erforschen und herauszufinden, woher die Unzufriedenheit und die Zweifel kommen. Du bist hier, weil du seelisch und spirituell wachsen möchtest und dazu brauchst du Widerstand im Leben, Herausforderungen und schwierige Situationen. Finde Freude daran, dich kennen zu lernen, deinem Herzen zu folgen, dir zu vergeben und dir einzugestehen, dass du Fehler machen darfst. Die Akzeptanz, dass nicht immer alles im Leben Vergnügen ist, öffnet einen Freiraum, der dich aus jeder Identifikation und jeder Verhaftung führt. Wenn du Unsicherheiten wahrnimmst, nimm sie an, akzeptiere sie und du wirst erleben, dass Lösungen ganz von alleine auftauchen. Unsicherheit ist ein Weg zur Freiheit. Wenn du loslässt, gestehst du dir selbst und denjenigen in deinem Umfeld die Freiheit zu, so zu sein, wie sie sind. Lasse die Vorstellungen davon, wie etwas zu sein hat, los und schenke dir und den anderen den Freiraum ungezwungen handeln zu können.

Öffne dich für ein neues Kapitel in deinem Lebensbuch.

Vor einigen Jahren, während der Trennung vom Vater unserer wunderbaren Kinder, wünschte ich mir von ganzem Herzen und voller Überzeugung eine positive Veränderung in meinem Leben. Aber mein Kopf war noch nicht ganz bereit, die Vergangenheit loszulassen. Wie sollte es also möglich sein, das Neue zu entdecken? Prompt überraschte mich ein Traum, der so real war, dass ich daran zweifelte, dass es wirklich ein Traum war.

Schweißgebadet wachte ich eines Morgens auf. Mein T‐Shirt klebte unangenehm auf meiner nassen Haut. Mein Körper lag wie gelähmt auf dem ebenfalls durchnässten Lacken. Ich war nicht fähig mich auch nur einen Zentimeter von der Stelle zu rühren. Langsam öffnete ich meine Augen. Ich starrte in die Dunkelheit und versuchte mich zurechtzufinden. War dies wirklich gerade geschehen oder befand ich mich in einem Traum?

Soeben hielt ich mich noch in einem großen hellen Raum auf, der bis auf einen klapprigen alten Stuhl leer war. Wie es oft in Träumen der Fall ist, konnte ich mich selbst sehen wie ich auf diesem Stuhl saß und auf eine Tür starrte, die sich langsam öffnete. Meine neugierigen Augen beobachteten, wie ein Mann durch diese Tür in den Raum schlüpfte. Ihm folgten ungefähr zwanzig weitere Männer unterschiedlichen Alters. Sie stellten sich kreisförmig vor mir auf und betrachteten mich mit herausforderndem, interessiertem Ausdruck in ihren Gesichtern. Verunsichert und distanziert saß ich auf dem wackligen alten Stuhl. Meine Kehle fühlte sich zugeschnürt an. Verzweifelt rang ich nach Atem. Fühlte mich bedroht. Bedrängt. Plötzlich wälzte sich aus der Tiefe meiner Kehle ein verzweifelter Urschrei empor und ich brüllte die Männer mit Tränen in den Augen an:

„Verschwindet! Alle! Jetzt sofort!“

Ich senkte meinen Blick zum Boden und versuchte krampfhaft meinen Atem in den Griff zu kriegen. Erschrocken wandten sich die Männer der Tür zu und einer nach dem anderen verließen enttäuscht den Raum. Sie bewegten sich sehr langsam, viel langsamer, als es in Wirklichkeit möglich ist, und ich nahm sie nur noch verschwommen als Meer aus dunklen Stoffen und Bartstoppeln wahr. Mit jedem Mann, der durch die Tür verschwand, wurde mein Atem ruhiger. Als ich endlich wagte, meinen Kopf anzuheben, um nachzuschauen, ob der Raum wieder leer war, stand vor mir noch ein einziger Mann. Obwohl elegant gekleidet, strahlte er etwas Wildes, Ungezähmtes aus. Sein volles dunkelblondes langes Haar, welches mit einem Band am Hinterkopf zusammengehalten wurde, fiel ihm verspielt auf den Rücken. Eine Haarsträhne hatte sich gelöst. Sie fiel ihm in die Stirn und verdeckte beinah seine dunklen Augen, mit denen er mich mit einem tiefen unergründlichen Blick zärtlich anstrahlte. Ich war fassungslos, dass er es wagte, immer noch im Raum zu sein, obwohl ich alle weggeschickt hatte. Ich wollte tief Luft holen, um ihn erneut anzubrüllen, dass er sofort verschwinden soll. Eine unsichtbare Kraft hielt mich jedoch zurück. Ich saß einfach nur stumm da und starrte in seine strahlenden Augen. In diesem Moment senkte er im Zeitlupentempo seine Augenlider und hob sie genau so langsam wieder an. Dann drehte er sich um und verschwand durch die Tür.

An diesem Morgen brauchte ich bestimmt eine halbe Stunde um aus meiner konsternierten Bewegungslosigkeit aufzutauchen. Die Zeit half mir zu realisieren, dass dies ein Traum war. Ein Traum, der sich so wirklich angefühlt hatte, als wäre er real. Den ganzen Tag über sah ich immer wieder diese dunklen Augen vor mir. Wie sich die Lider senkten und wieder hoben. So langsam als wenn die Zeit stehen geblieben wäre.

Am nächsten Tag wollte ich an einem Meditationsabend im Zürcher‐Seefeld teilnehmen. Um dorthin zu gelangen, musste ich mit der Tram quer durch die ganze Stadt fahren. Ich setzte mich auf einen Einzelplatz direkt ans große Fenster, sodass ich während der Fahrt die Umgebung betrachten konnte. Das Tram war halb leer und füllte sich mit jeder Haltestelle mit immer mehr Menschen. Hinter mir saß eine ältere Dame, die leise etwas vor sich hinmurmelte. Ich konnte sie nicht verstehen, da die anderen Leute zu laut waren. Plötzlich spürte ich etwas an meiner linken Schulter. Als ich mich halb umdrehte sah ich, wie sich diese Frau nach vorne geneigt hatte. Sie flüsterte mir etwas ins Ohr. Da sie sehr leise sprach, konnte ich sie immer noch nicht hören und zeigte dementsprechend auch keine Reaktion auf das, was sie sagte.

Sie begann lauter zu sprechen und ich hörte sie sagen: „Ein Engel sitzt vor mir. Du wirst gleich einem anderen Engel begegnen.“

„Wie bitte?“ dachte ich.

Sie sprach nun immer lauter und wiederholte ihre Aussage immerzu bis die anderen Fahrgäste aufmerksam wurden. Es war mir sehr unangenehm, denn nun starrten sie mich alle an und schmunzelten belustigt wegen dieser Aussage. An der Haltestelle Stauffacher stieg diese Dame aus. Das Tram blieb ein wenig länger stehen. Es musste auf das Anschlusstram warten. Gedankenverloren beobachtete ich die Menschen auf diesem belebten Platz. Plötzlich blieb mein Blick an einem großgewachsenen Mann hängen. Er stand mit dem Rücken zu mir und war in Jeans und T‐Shirt gekleidet. An seinen Füssen entdeckte ich stilvolle Straßenschuhe. Was meinen Blick jedoch nicht von ihm abwenden ließ, waren seine langen dunkelblonden Haare, die mit einem Band zusammengehalten wurden und lässig auf seinen Rücken fielen. Das Blut gefror in meinen Adern als er sich umdrehte und mit gemächlichem Schritt direkt auf mich zukam. Vor dem großen Tramfenster blieb er stehen. Er schaute mich zärtlich an. Ich konnte es nicht fassen. Es war genau derselbe Mann, den ich im Traum gesehen hatte. Bestürzt erwiderte ich seinen Blick. Als er seine Lider ganz langsam einmal schloss und wieder hob, realisierte ich, dass ich unbedingt wissen musste, wer das war. Wie von einer Tarantel gestochen, schoss ich aus meinem Sitz hoch, rannte zur geschlossenen Tramtür und drückte ungeduldig auf den Türöffner. Just in diesem Moment verriegelte der Chauffeur sämtliche Türen und das Tram setzte sich in Bewegung. Das kann doch nicht wahr sein! Verzweifelt drückte ich immer wieder auf den Türöffner. Schließlich musste ich einsehen, dass nichts mehr zu machen war.

War dies ein Zeichen, dass ich nicht alle Männer fortjagen sollte? Oder was wollte mir dieser Mann für ein Zeichen geben? Vielleicht musste ich einfach die Augen offenhalten? Und wach bleiben für alles was kommt? Dieser Engel in Menschform öffnete mir die Augen, im Vertrauen loszulassen und Raum für etwas Neues zu schaffen. Ich erkannte in diesem Augenblick, dass es wichtig war, nicht aus meinen verletzten Gefühlen heraus zu handeln. Sondern alles bedingungslos anzunehmen, was das Leben noch für mich bereithielt. Ohne Angst vor weiteren Verletzungen. Narben bleiben. Das war mir klar. Sie heilen mit der Zeit und wachsen zusammen. Wenn man jedoch mit dem Finger darüberstreicht, spürt man sie auch nach langer Zeit noch. Es war mir bewusst, dass Narben auch wieder aufplatzen können. Es war jedoch bestimmt nicht der Weg mir deshalb als Selbstschutz alle Männer vom Leib zu halten.

Träume sind Vorboten deiner Fähigkeiten, die in dir liegen.

Sie können sich erst dann verwirklichen, wenn du dich entschließt, daraus zu erwachen. Damit du etwas in deinem Leben und in dieser Welt verändern kannst, ist es unumgänglich, dich von deinen Vorstellungen, was das Ergebnis betrifft, zu lösen. Wenn du die Bindung ans Bekannte und Gewohnte aufgibst, öffnet sich das Energiefeld der unbegrenzten Möglichkeiten. Die einzige Quelle der inneren Weisheit ist dein Selbst. Ansonsten beginnst du daran zu glauben, dass du etwas von Außerhalb benötigst um glücklich zu sein. Häuser, Autos, Kleider, ja, auch dein Körper sind alles nur Symbole die vergänglich sind. Wenn du diesen illusionären Symbolen nachjagst, entsteht Angst und Unsicherheit. Die wahre Quelle des Reichtums, des Überflusses in der physischen Welt ist dein Selbst, das Bewusstsein. Dieses kennt die Bedürfnisse deiner Seele und wie du sie erfüllen kannst. Alles was du dir wünschst, kannst du durch Loslassen erreichen, denn Loslassen beruht auf dem bedingungslosen Glauben an die Weisheit des eigenen wahren Selbst.

Du bist nicht hier, um an irgendetwas festzuhalten, und wenn du es doch tust, blockierst du den natürlichen Fluss des Lebens.

Im Restorativen Yoga lernst du auf das Herz zu hören, dich im Vertrauen fallen zu lassen und dich dem Leben hinzugeben. Dies erfordert Bewusstheit und Sanftheit mit dir selbst. Indem du dich selbst völlig loslässt und dich dabei zugleich ganz und gar akzeptierst wie du bist, das ist die höchste Stufe auf dem Weg zu Ruhe und innerer Geborgenheit. Durch das Zur‐Ruhekommen öffnet sich dein Herz und alle Aspekte deines Selbst können als ein einziges Ganzes zusammenfließen. Das ist Heilung.

YOGAPRAXIS – DEHNUNGEN

Das Bedürfnis, sich zu dehnen und zu strecken ist ein natürlicher Impuls. Dies machst du automatisch um Müdigkeit und Steifheit entgegenzuwirken. Im Restorativen Yoga geht es darum, sich in einer Pose zu entspannen, statt den Körper in sie hineinzuzwingen. Wenn du dich in eine Dehnung begibst, finde den Punkt des Widerstands. Atme durch diesen Widerstand hindurch bis zu spürst, wie sich deine Dehnung ausdehnt und sich die Flexibilität erhöht. Nimm deinen Körper während den Yogaübungen so an, wie er ist. Auch wenn du die Absicht haben solltest, ihn in gewisser Weise weiterzuentwickeln, akzeptiere ihn jetzt dafür, dass er genau so ist, wie er sein sollte, weil das Universum so ist, wie es sein sollte. Solange du gegen deine Schwachstellen und Begrenzungen ankämpfst, wirst du nicht in der Lage sein, dich in die Dehnung hinein zu entspannen. Gib deine Angewohnheit auf, gegen das ganze Universum anzukämpfen, indem du gegen den Moment ankämpfst. Indem du dich ergibst und dein Bild einer idealen Pose loslässt, wird dein Körper ganz von selbst seinen Widerstand auflösen und seine Dehnbarkeit erhöhen. Das braucht Geduld. Deshalb schenke dir die Zeit, die du brauchst um dich in eine innere Haltung des achtsamen Sich‐Ergebens fallen zu lassen. Indem du jede Situation so annimmst, wie sie ist, unterstützt du sie dabei, sich in eine neue Richtung zu entwickeln.