Ein Zeichen

Ein Zeichen

Ich stand wieder am Anfang meiner Suche nach dem Neuen! Obwohl ich viele inspirierende Ideen gehört hatte, wusste ich immer noch nicht, wie es weiter gehen sollte. Ich fühlte mich gefangen im luftleeren Raum. Ein Vakuum hielt mich fest. Mein Schrei nach Befreiung wurde im Nichts erstickt. Ich versuchte krampfhaft, aus dieser Leere herauszukommen. Meine Sehnsucht nach Erfüllung wuchs ins Unermessliche. Ich hatte das Gefühl, je intensiver dieser Wunsch wurde, desto weiter fühlte ich mich von der Lösung entfernt. Eindringlich bat ich Nathanael, mir zu helfen: „Bitte gib mir einen Hinweis oder ein Zeichen. Schicke mir eine Botschaft, auf welchem Weg auch immer!“

Nun musste ich hellwach sein, damit ich das Zeichen auch erkennen konnte. Ich fuhr sämtliche Antennen aus, damit ich sein Zeichen nicht übersah. Überall und zu jeder Zeit konnte er mir eine versteckte Botschaft schicken. Die Hinweise kamen manchmal auf den abstrusesten Wegen daher. Zum Beispiel stand ich einmal im Postgebäude in einer Warteschlange und hörte vor mir zwei geschwätzige Hausfrauen, wie sie über ein Thema sprachen, welches mich normalerweise nicht interessieren würde. Sie sprachen jedoch so laut und in penetrantem Tonfall, dass ich gezwungen war zuzuhören. Plötzlich wurde es interessant, denn die eine Hausfrau erzählte der anderen, dass ihr Nachbar eine neue Wohnung gefunden hätte. Die alte Wohnung sei wunderschön, schwärmte sie ihrer geduldigen Zuhörerin vor. Jetzt lauschte ich gespannt weiter, denn zu jener Zeit suchte ich tatsächlich eine neue Wohnung. Ich sprach die Frauen an und erfuhr, dass die Wohnung noch frei war. Sie gab mir den Namen und die Telefonnummer dieses Nachbarn.

Manchmal stellte ich auch das Radio oder den Fernseher ein, obwohl ich gar nichts Bestimmtes hören oder schauen wollte. Und genau dann sagte oder sang jemand in einem Interview, in den Nachrichten, einem Film oder Song einen Satz, der für meine Ohren bestimmt war und eine Antwort auf meine offene Frage enthielt.

Oder ich öffnete eine Zeitschrift oder ein Buch und erhielt in einem Abschnitt einen wertvollen Hinweis.

Also fuhr ich, nach dieser Bitte an Nathanael, meine längste Antenne aus und wartete sehnsüchtig auf ein Zeichen.

Es kam kurz darauf an einem heißen Sommertag. Ich wollte vor dem Yogaunterricht einen Sprung ins kalte Wasser des nahen Schwimmbades wagen. Erfrischt und mit klarem Kopf machte ich mich anschließend auf den Weg ins Yogastudio. Mein Weg führte mich eine ruhige menschenleere Quartierstrasse entlang. Es schien, als ob sich bei dieser Hitze alle Menschen in ihre kühlen Häuser zurückgezogen hätten. Diese kleine Straße führte zwischen zwei Häuserreihen hindurch, die nahe aneinander gereiht die Straße wie ein Schutzwall bewachten. Damit mich die Hitze nicht einholen konnte, schlenderte ich mit fast meditativen Schritten diese Straße entlang.

Plötzlich stand wie aus dem Nichts ein kleines Mädchen vor mir. Ich hatte keine Ahnung, woher sie so überraschend aufgetaucht war. Einen kurzen Moment blieb ich erschrocken stehen und starrte sie verwundert an. Sie hielt ein großes Blatt Papier in ihren zierlichen Händen.

„Möchtest du sehen, was ich für dich gezeichnet habe?“ fragte sie mich.

Ich war dermaßen verblüfft über diese Frage, dass ich nur stumm nicken konnte. Sie hob die Zeichnung hoch, damit ich einen Blick darauf werfen konnte. Ich sah ein riesiges Herz, welches durchzogen war mit unendlich vielen ganz klar angeordneten Linien, die wiederum alle miteinander verwoben waren.

„Buahhh! Was für ein schönes Bild! Hast wirklich du das gemalt?“ wollte ich wissen.

Das Mädchen nickte bescheiden und fragte mich mit ihrer klaren Stimme: „Möchtest du wissen, wie mein Name ist?“

„Ja, sicher möchte ich das wissen!“ bejahte ich ihre Frage.

Sie drehte das Bild um, so dass ich auf der Rückseite ihren mit großen runden Buchstaben geschriebenen Namen lesen konnte: Angela! Daraufhin strahlte sie mich glücklich an und erklärte mir, dass sie jetzt weiter gehen müsse.

„Natürlich! Danke, dass du mir diese schöne Zeichnung gezeigt hast!“ platzte ich, immer noch erstaunt, heraus.

Sie drehte sich um und schwebte leichtfüßig in die entgegengesetzte Richtung davon. Da es mir keine Ruhe ließ herauszufinden, woher Angela so plötzlich aufgetaucht war, drehte ich mich schnell um, um zu beobachten, wohin ihr Weg sie führte. Die Straße war leer. Das kann nicht sein, schoss es mir durch den Kopf. Eben war sie doch noch da und hatte mit mir gesprochen! Ich rannte die Straße hinunter und suchte zwischen den Häusern sämtliche kleinen Wege ab, die sie genommen haben könnte. Sie war jedoch spurlos verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt.

Diesen kleinen Engel hatte mir Nathanael geschickt. Dessen war ich mir sicher. Die Botschaft war angekommen. Plötzlich erinnerte ich mich an die Reise mit ihm nach meinem Unfall, als wir die Lichtstrahlen der Menschen beobachteten, die wie ein leuchtendes Netz die ganze Erde einhüllten.

Es wurde mir zum zweiten Mal gezeigt, dass meine Aufgabe darin bestand, Menschenherzen miteinander zu verbinden und zu helfen, den Horizont zu öffnen, Werkzeuge für ihr Leben zu schenken, um eine Sprache zu finden, und ihnen die Verbindung zwischen den verschiedenen Welten zu erklären. Nur, in welchem Rahmen konnte ich diese Aufgabe erfüllen? Wie sollte ich dies tun? Sollte ich mit Hilfe von Yoga Herzen verbinden?

Fortsetzung im Buch ‘Die Seele will atmen – Eine Reise zu deinem Herzen’ von Samira Henning