Restorative Yoga – Energiequelle pur

Restorative Yoga – Energiequelle pur

Vancouver. Ein Mekka an Yoga-Angeboten – ein Paradies für Yogafreunde. Jeden Morgen spazierte ich zu einer Yoga-Schule, die eine unglaubliche Vielfalt an Yoga-Klassen anbot. Ich probierte praktisch jeden Yogastil aus und war immer wieder erstaunt, wie unterschiedlich Yoga sein kann. Ich bevorzugte intensive Yogaformen, die mich ins Schwitzen brachten und die meine physischen und geistigen Grenzen ausloteten.

Auf dem übervollen Stundenplan entdeckte ich eines Tages einen Yogastil, den ich zum ersten Mal hörte – Restorative Yoga. Mir war klar – dies wird meine nächste Yogarichtung sein, die ich kennen lernen wollte. Ich konnte mir nichts unter diesem Begriff vorstellen, ausser dass es eine Yogastunde ohne Schweisstropfen werden könnte.

Am nächsten Tag schlenderte ich gemütlich zur Schule, da ich der Ansicht war, dass ich vermutlich die einzige Schülerin in dieser Klasse sein würde. Denn wer wollte schon so eine ruhige Yogastunde besuchen. „Rest“ klang für mich wie „Schlafen“. Als ich eine Minute vor Beginn der Stunde mit meiner Matte unter dem Arm die Tür zum Kursraum aufstiess, stockte mir einen Moment der Atem. Der Raum war bis auf den letzten Platz ausgefüllt. Die Schüler sassen auf dem Boden und blickten erwartungsvoll zum asiatischen Lehrer, der mit einer lockeren, aufmunternden Art die Menschen in diesem Raum begrüsste. Ich schlängelte mich zwischen den Matten hindurch und fand schliesslich zwischen einem grauhaarigen Mann mit runzligem Gesicht und einer jungen Frau mit Krücken, die neben ihr lagen, einen Platz für meine Matte.

Ich lag eine Stunde am Boden und führte insgesamt drei Yogaübungen (Asanas) aus. Mein Körper polsterte ich mit Decken, Kissen und Blöcken, so dass er für 20 Minuten bewegungslos in einer Pose ruhen konnte. Als die Stunde zu Ende war, stand ich etwas ratlos auf, da ich dachte, was war das denn? Yoga? Als ich mich im Raum umsah, durchflutete mich ein Gefühl von tiefster Ruhe, dass ich bis dahin nur von langen Meditationen kannte. Ich schwebte aus dem Raum, wie wenn mir Flügel gewachsen wären. Und trotzdem fühlte ich den Boden unter meinen Füssen so deutlich wie selten zuvor.

DSC_0024Wir alle brauchen Inseln – Inseln der Ruhe, Inseln des Glücks und der Leichtigkeit 

Tagtäglich verschwenden wir Unmengen an Energie indem wir uns über etwas ärgern, uns vom Stress überwältigen oder von negativen Gedanken beeinflussen lassen. Die Reaktionen unseres Körpers ignorieren wir aus Angst nicht genügend zu leisten und unseren Aufgaben nicht gerecht zu werden. Dies gelingt uns so lange, bis der Körper beginnt zu streiken. Wir werden krank, leiden unter Schmerzen oder verletzen uns.

Oft sind wir uns diesem Energieraub nicht bewusst. Aber was können wir tun um gar nicht erst krank zu werden? Das Wichtigste ist die Bewusstwerdung der Energiequellen in uns. Durch die Bewusstwerdung ist es möglich, die Richtung zu ändern. Zeichen wahrzunehmen, wie zum Beispiel wenn wir uns über längere Zeit müde und frustriert fühlen. Oder wenn unser Geist auch spätabends noch ununterbrochen rotiert und uns nicht einschlafen lässt.

Es ist wichtig Inseln zu schaffen um den Energieausgleich wieder herzustellen. Inseln wie zum Beispiel ein Spaziergang im Wald, Yogaübungen praktizieren, meditieren, bewusst atmen, sich mit einer Massage verwöhnen lassen, einen köstlichen Kaffee mit einer Freundin/einem Freund geniessen, jemandem ein Lächeln schenken, die warmen Sonnenstrahlen auf der Haut spüren, kreativ sein, jede Handlung bewusst ausführen, ein gutes Buch lesen, in die Natur gehen, einfach sein und sich Zeit schenken.

Restorative Yoga ist eine pure Energie-Insel. Dieser Yogastil lädt Menschen ein, die Ruhe suchen und sich vom Stress des Alltags regenerieren wollen. Die Übungen sind somit auch für Menschen geeignet, die körperliche Beschwerden haben oder die nach einer Verletzung ihren Körper auf eine ganzheitliche Art und Weise in ihre Mitte bringen wollen.

Die passiven Posen werden auf dem Boden bei gedämpftem Licht durchgeführt. Mit diversen Hilfsmitteln, wie Polster, Blöcken, Gurten und Decken ist es für alle möglich in die sanften Positionen zu gleiten. Durch das längere Verweilen in den Asanas (10 – 20 Minuten) gelingt es, sich vollständig der Schwerkraft hinzugeben und loszulassen. Die regenerierende Wirkung der entspannenden Übungen stärkt in achtsamer Weise Körper, Geist und Seele.

Restorative Yoga gibt die Erlaubnis vom Tun zum Sein umzuschalten. Es gibt den Schülern die Gelegenheit ihre Augen zu schliessen und in ihre innere Insel einzutauchen. Menschen, die sich in einer Übergangsphase im Leben befinden, wie zum Beispiel in den Ruhestand eintreten oder während der Menopause, finden hier eine grosse Hilfe.

Judith Hanson Lasater hat ihr Leben damit verbracht, das Restorative Yoga bekannt zu machen. Sie ist seit 1971 Physiotherapeutin und Yogalehrerin. Judith H. L. hat unzählige Yoga-Lehrer in 47 US-Staaten und mehr als einem Dutzend Ländern geschult. Sie ist ausserdem Präsidentin und Mitbegründerin der California Yoga Teachers Association, einer der Gründer vom Yoga Journal und Autorin von acht Büchern, darunter das klassische Buch über Restorative Yoga, Entspannung und Erneuerung: Restful Yoga for stressful times. Es ist ihre Berufung die Schüler durch die sanften, selbstheilenden Yoga-Posen zu führen. Sie lebt in San Francisco, Kalifornien.

„Ruhe“, sagt Judith H. L., „unterscheidet sich von Schlaf“.DSC_0030

“Sie können schlafen und sind trotzdem nicht ausgeruht. Jedoch 20 Minuten auf dem Boden liegend, mit den Beinen auf einem Stuhl, ermöglicht es Ihnen, diese beiden Zustände zu trennen, um in das parasympathische Nervensystem zu fallen und um sich auszuruhen und zu regenerieren”, sagt Judith H. L.. “Das ist kein Luxus, keine Faulheit. Es ist in unserer verrückten Welt zwingend notwendig, dass wir unseren Stress reduzieren. Sie können nicht entspannt und ängstlich zugleich sein, und wenn Sie ausgeruht sind, ist alles in Ihrem Leben farbiger. ”

Ich entschied mich, nach der Erfahrung in Vancouver, die Ausbildung bei Judith Hanson Lasater zu besuchen. Ihre Weisheit, Geduld und Herzenswärme hat mich tief berührt. Es ist ein Geschenk des Himmels, dass es Lehrer wie sie gibt. Nach dieser intensiven Woche breitete ich meine Flügel aus und flog behutsam in die Stille meines Herzens.

Samira Henning