Metamorphose

In der Schule stand eine Prüfung an, in der wir uns in leichtathletischen Disziplinen beweisen mussten. Oh je, das hatte mir gerade noch gefehlt! Mein Körper reagierte blitzschnell auf diese Bedrohung mit einem eingewachsenen Nagel an meinem rechten grossen Zeh. Meine Mutter schickte mich zu ihrer Pedicure, die kopfschüttelnd bestätigte, dass da wohl nichts mehr zu machen sei; dieser Nagel müsse herausoperiert werden, damit er wieder normal nachwachsen könne. Dieser Meinung war meine Mutter jedoch nicht. Sie wollte es zuerst mit einer alternativen Heilmethode versuchen.
Man muss wissen, dass dies zu jener Zeit für sie als Pfarrersfrau ein grosses Wagnis war, da sie sich auf ein esoterisches Territorium wagte. Unter vorgehaltener Hand flüsterte sie mir zu, dass dies nun unser Geheimnis sein würde und ich niemandem etwas von ihren Plänen erzählen dürfe. Dies fand ich cool, da es nach etwas Verbotenem klang.
Meine Mutter begleitete mich zu einer Frau, die in einem hellen, freundlich eingerichteten Raum ihre Praxis hatte. Auf dem Schild vor ihrer Praxis stand auf einem kleinen unscheinbaren Schild „Praxis für Metamorphose-Therapie“. Ich durfte auf einem bequem gepolsterten Sessel Platz nehmen und sie streichelte eine Stunde meine Füsse. Zum Glück war ich nicht kitzlig. Nach dieser Stunde verabschiedete sie mich mit den Worten, dass alles gut kommen würde. Ich ging noch ein zweites Mal hin und fühlte mich wiederum rundum wohl. „So, das hätten wir“, sage die Heilerin nach dieser zweiten Behandlung, „du brauchst nicht mehr zu kommen.“
Nur zwei Wochen waren vergangen seit dem Gespräch mit der Pedicurefrau und es war tatsächlich ein Wunder geschehen, denn die Entzündung war verschwunden und der Nagel begann, in die andere Richtung zu wachsen. Das einzig Dumme war, dass ich nun trotzdem an der Leichtathletik-Prüfung teilnehmen musste.
Dieses Geheimnis bewahrte ich viele Jahre in meinem Herzen bis ich in einem Seminar bei einer Schamanin selbst die Gelegenheit erhielt, die Metamorphose-Therapie zu lernen.